Fallbeschreibung
„Marco“
Der
19-jährige Marco S. ist beim Jugendgericht wegen mehrfachen
Diebstahls angeklagt. Der Richter bittet die Sozialpädagogin von der
Jugendgerichtshilfe ihren Bericht abzugeben. Hier eine
Zusammenfassung ihrer Stellungnahme:
Marco
ist das jüngste von sechs Kindern. Die Mutter war schon vor der
Geburt von Marco durch die fünf Kinder und die Probleme, die sich
aus der Alkoholkrankheit ihres Mannes ergaben, überfordert. Die
zusätzlichen Anforderungen, die der unerwünschte Familienzuwachs
mit sich brachte, führten zu einer weiteren Verschlechterung der
Familiensituation. So entstanden immer häufiger aggressive Konflikte
zwischen den Eltern und auch der Haushalt verwahrloste zusehends. Das
Jugendamt wurde durch Nachbarn auf die Situation aufmerksam gemacht.
Bei einem Hausbesuch stellte eine Mitarbeiterin fest, dass Marco
unversorgt in seinem Bettchen lag. Die Windeln waren schon längere
Zeit nicht gewechselt worden, der Säugling war offensichtlich
hungrig und schrie. Auf Nachfrage erklärte die Mutter, dass das Baby
dauernd schreie und sie es daher in ein anderes Zimmer gelegt habe.
Stillen würde sie zu viel Zeit kosten, schließlich müsse sie sich
ja auch noch um die anderen Geschwister kümmern. Die Flaschenkost
vertrage Marco nicht gut, weshalb das Füttern immer ein „Theater“
sei. Der „Balg“ habe ihr gerade noch gefehlt – jetzt, wo die
anderen doch endlich aus dem Gröbsten ’raus seien. Bei mehreren
Hausbesuchen zeigten sich eine überaus problematische Situation der
Familie und ein grober Umgang mit dem Säugling. Im Einvernehmen mit
den Eltern wurde Marco schließlich im Alter von drei Monaten in eine
Pflegefamilie gegeben. Marco war ein „Schreikind“, was dazu
führte, dass sich die Pflegefamilie der Aufgabe bald nicht mehr
gewachsen fühlte und sich bereits nach einem halben Jahr entschloss,
in wieder abzugeben. Der erst neun Monate alte Junge wurde
kurzfristig in einem Heim untergebracht. In dieser Zeit gaben die
Eltern Marco auch zur Adoption frei. Das Ehepaar Kern hatte schon
immer den sehnlichen Wunsch nach einem Kind. Da sie keine leiblichen
Kinder bekommen konnten, entschieden sie sich schon sehr früh für
eine Adoption. Sie informierten sich bei den zuständigen Stellen
über alles, was für ein Adoptionsverfahren wichtig ist und ließen
sich von verschiedenen Seiten fachlich beraten, zudem besuchten sie
regelmäßig eine Interessensgruppe für adoptionswillige Eltern.
Nach drei Jahren Wartezeit war eine Adoption zum Greifen nahe. Sie
wollten ein kleines Mädchen, das sie bereits seit mehreren Monaten
als Pflegeeltern betreuten, adoptieren, doch die leiblichen Eltern
zogen ihr Einverständnis zur Adoption in letzter Minute zurück und
holten das Kind wieder zu sich. Für das Ehepaar Kern war das eine
sehr schwere Zeit, aber sie ließen sich nicht entmutigen und
bemühten sich weiter um ein Adoptivkind. Mit der Adoption des
einjährigen Marco ging für das Ehepaar schließlich ein Traum in
Erfüllung.
Frau
Kern gab ihren Beruf auf, um sich ganz dem Kind widmen zu können.
Das Ehepaar Kern war stets bereit, seine eigenen Interessen
zurückzustellen, um die Ansprüche des Jungen zu erfüllen. Der
Junge bekam zum Beispiel jedes Spielzeug, das er sich wünschte. Die
Ansprüche des Kindes wurden aber mit zunehmendem Alter immer
fordernder. Marco fiel öfter dadurch auf, dass er den anderen
Kindern die Dinge einfach wegnahm, die er haben wollte; oft kam es
daher auch zu Prügeleien. Seit seinem 14. Lebensjahr gehörte Marco
nun zu einer Clique, deren Mitglieder oft negativ auffallen, weil sie
Leute anpöbeln, Autos beschädigen oder auch Sachen „mitgehen“
lassen. Nach dem letzten Diebstahl befragt, antwortete Marco dem
Richter, dass der Bestohlene in der Disco mit seinen großen
Geldscheinen im Geldbeutel geprahlt habe. Da habe er sich
vorgestellt, was er sich von dem Geld alles kaufen könne. Er habe
zunächst nicht vorgehabt, den „Typen“ zu bestehlen, aber als
dieser den „gefüllten Geldbeutel“ auch noch unbeaufsichtigt auf
dem Tisch liegen ließ, habe er zugegriffen. Er konnte gar nicht
anders. Ein schlechtes Gewissen habe er wegen des Diebstahls nicht,
schließlich treffe es ja keinen Armen.
Aufgaben
zur Fallbeschreibung Marco:
- Das Ehepaar Kern zeigte eine starke Motivation ein Kind zu adoptieren.
Beschreiben
Sie die Merkmale von Motivation und verdeutlichen Sie diese am
Beispiel der Motivation des Ehepaars Kern ein Kind zu adoptieren.
- In der Erziehung von Marco wurden einige Fehler gemacht.
- Beschreiben Se auf der Basis der Theorie der psychosexuellen Entwicklung nach Sigmund Freud die Erziehungsfehler, die im ersten Lebensjahr bei Marco begangen wurden.
- Erklären Sie auf der Grundlage dieser Theorie die Auswirkungen dieser Erziehungsfehler auf Marco.
- Das Instanzenmodell von Sigmund Freud ist geeignet, die Struktur der menschlichen Persönlichkeit zu beschreiben.
Stellen
Sie auf der Grundlage des Instanzenmodells das dynamische
Zusammenspiel der Persönlichkeitsinstanzen dar und verdeutlichen Sie
diese theoretischen Annahmen am Beispiel des Diebstahls, von dem
Marco dem Richter erzählt.
Aufgabe 1).
Die Motivation des Ehepaares Kern, bezog sich darauf das Kind in seiner Not zu helfen und das Befriedigen des eigenen unerfüllten Kinderwunsches. Voller Begeisterung und Idealismus übernimmt das Ehepaar Kern die Verantwortung für Marco.
Aufgabe 2).
Nach Freud wird das Verhalten und das Erleben eines Menschen immer durch frühere, teilweise frühkindliche Erfahrungen und Erlebnisse beeinflusst. Dies geschieht meist unbewusst. Freud sieht den Menschen außerdem als ein Wesen, dessen Verhalten durch Triebe erzeugt und gesteuert wird. Triebe im psychoanalytischen Sinn bezeichnen eine psychische Kraft, die darauf ausgerichtet ist, Bedürfnisse zu befriedigen. Dadurch wird menschliches Erleben und Verhalten, aktiviert und gesteuert. Im Fallbeispiel bestehen Marcos Bedürfnisse zunächst darin versorgt zu werden und Zuwendung zu erfahren. Diese Bedürfnisse werden jedoch von seiner überforderten Mutter nicht befriedigt, vor allem da Marco unerwünschter Nachwuchs war: Sie wechselt die Windeln nicht regelmäßig, ließ den Säugling ungestillt und schreiend zurück und fütterte Marco wenn, dann nur mit Flaschenkost, die er nicht gut vertrug.
Marco kann sich nicht mit Regeln und gesellschaftlichen Normen auseinander setzen, er erlebt das familiäre Zusammenleben seiner Adoptivfamilie und versucht mehr und mehr Kontrolle über diese zu erhalten. Er identifiziert sich nicht mit der Familie als Kollektiv. Außerdem entstehen aus diesem inneren Konflikt Rivalitäten und Aggressionen gegenüber Anderer.
Aufgabe3).
Das Es ist der älteste und vollkommen unbewußte Teil des Seelenlebens: “Sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperorganisation stammenden Triebe”. Die Triebe und seelischen Vorstellungen unterliegen im Es dem Lustprinzip und verhalten sich nicht logisch, zeitlos und trotzdem widerspruchsfrei.
Bei dem Fallbeispiel hat das Es, das Ich unterdrückt, sodass eine Verzerrung der Realität wahr genommen werden konnte und offensichtlich eine ausgeprägte Ich-Schwäche vor liegt.
Im Laufe der Entwicklung des Kindes bildet sich das Ich als der Teil des “Seelenlebens” heraus, der im Kontakt mit der Außenwelt steht und das Verhalten direkt steuert. Ein Teil des Ich ist bewußt, ein anderer vorbewußt, ein dritter unbewußt (darunter fallen die Abwehrmechanismen). Dem Ich kommt die Aufgabe zu, zwischen den Ansprüchen der Außenwelt und denen des Es zu vermitteln, um eine geeignete Form der Triebabfuhr zu erreichen.. Dabei unterliegt es dem Realitätsprinzip.
Bei dem Fallbeispiel fand eine Realitätsverzerrung durch das Es statt, wobei zu dem bereits eine Persönlichkeitsstörung durch vorher ergangene Erziehungsfehler vorliegt. Marco ist sich keiner Schuld bewusst, er hat besten Gewissens gehandelt.
Noch später in der Entwicklung entsteht das Über-Ich als Sitz des Gewissens und des Ich-Ideals (Vollkommenheit) einer Person. Es entsteht aus der Übernahme der Moralvorstellungen und Normsetzungen der Eltern während der Zeit des Ödipuskomplexes in der phallischen Phase.
Bei dem Fallbeispiel hat Marco entweder ein abgestumpftes Gewissen, also quasi eine Fehlentwicklung des Über-Ichs oder war sich wirklich nicht bewusst, dass er ´´falsch´´ gehandelt hat, also widersprüchlich nach bestem Gewissen.
Selbst wenn es sich bei diesem Fallbeispiel um einen Richterlichen Prozess im Anschluss handeln sollte, würde ich zu einer Strafminderung tendieren, mit der Voraussetzung, dass sich Marco in psychiatrischer Behandlung begibt, da offensichtlich eine Persönlichkeitsstörung vor sich liegt.
Grüße Puchi ;)
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